Heilsame physiologische Effekte der Esalen® Massage: Teil 1+2

von Perry Holloman

In meiner Arbeit mit Klienten über viele Jahre und auch in meinen Beobachtungen von unseren Esalen Massage StudentInnen kann ich viele verschiedene heilsame Aspekte dieser Arbeit beobachten. Beispiele davon sind: verbesserter Flüssigkeitsaustausch, sowohl lokal in spezifischen Bereichen des Körpers, wie auch allgemein verbesserte Durchblutung (manche Menschen berichten von lokalem, manche von generellem Pulsieren, das manchmal noch Stunden nach der Behandlung anhält); ein tiefes Entspannungsgefühl, das oftmals nur im Tiefschlaf erfahren wird. (mehr zu diesem Phänomen siehe unten); ein klares Empfinden der Verbindung der verschiedenen Körpersegmente, zwischen der Pheripherie, der Wirbelsäule und dem Brustkorb; wiedergewonnene Flexibilität in zuvor steifen Gelenken und den umliegenden Bereichen; letzlich das Auftauchen und Verdauen von verschütteten traumatischen Erfahrungen, die einen entscheidenden Beitrag zu Symptombildern von Schmerz und Verspannung leisten.

In diesem Artikel werde ich mich auf einen der obengenannten Effekte beschränken: Die bemerkenswerte Kraft dieser Arbeit, tiefe Entspannung in nahezu jedem Menschen hervorzurufen und vor allem bei denen, die unter Stress und den davon bedingten Begleiterscheinungen und Krankheiten leiden.

Die Art der Tiefenentspannung, von denen KlientInnen oft nach der Esalen Massage berichten, ist mit nichts zu vergleichen, was sie bereits kennen: Oft höre ich Beschreibungen wie:

“Es war als schliefe ich, aber gleichzeitig war ich mir klar über alles bewusst, was du in der Massage gemacht hast.”

“Die Zeit schien still zu stehen. Ich dachte Du hättest erst ein paar Minuten an mir gearbeitet und dann waren die 1 ½ Stunden schon vorbei.”

“Ich träumte, war aber gleichzeitig die ganze Zeit über wach”.

Ich habe beobachtet, dass in diesen Zuständen die Beschwerden, mit denen die Klienten kommen, tiefer von den heilenden Aspekten dieser Arbeit berührt werden. Zum Beispiel: Ein schmerzender Bereich im Körper, bei dem der Klient auf Berührung normalerweise mit Hyper-Wachsamkeit reagiert, ist nun überraschend berührbar; Ein Klient, der üblicherweise überempfindlich auf tiefere Berührung reagiert, ist nun erstaunlich empfänglich dafür; Klienten, die mich gebeten haben bestimmte Schmerzbereiche nicht zu berühren, aus Angst, dass die Massage ihre Symptome verschlimmern könnte, baten mich nun, meine Hände auf genau diese Bereiche zu legen. Dies sind einige der typischen Unterschiede in Klienten, die einen tieferen Zustand von Entspannung erreicht haben. Zwei der typischen Vorzeichen, die diesen Zustand ankündigen sind ein “Zucken” im Körper des Klienten und das “Gurgeln” der Verdauungsorgane, das die Zunahme peristaltischer Aktivität indiziert. Die Frage, die uns als Körperarbeiter interessiert ist, ob diese Anzeichen als wertvoller “Meta-Prozess” für den Prozess des Klienten und den zwischen Klient und Behandler betrachtet werden können. Die Antwort auf diese Frage ist meiner Ansicht nach ein ausdrückliches “Ja”: Wir beobachten die Manifestation einer der bedeutsamsten Meta-Prozesse, der als Resultat einer kompetenten angewandten Körperarbeit auftritt und oft als “unwinding” bezeichnet wird. Dieser Begriff wird in Körperarbeits- und weiteren Kreisen oft recht locker gebraucht, um einen Prozess zu beschreiben, bei dem entweder ein disreguliertes Körperteil oder System wieder zu seinem natürlichen Zustand zurückkehrt oder eine generelle Stress- und Spannungsregulation stattfindet.

In meinem Fall meine ich sogar noch etwas über diese beiden Bedeutungen hinaus. Die Wiedergewinnung von “autonomer Flexibilität” des Nervensystems eines Lebewesens, ganz egal wie primitiv dieses ist.

Zum Abschluss des ersten Teils meines Artikels möchte ich autonome Flexibilität als den essentiellen Prozess definieren, bei dem das Nervensystem fähig ist, zwischen dem sympathischen und dem parasympathischen Zweig hin- und herzupendeln und zwar in einer Weise, die der momentanen, tatsächlichen Situation des Individuums entspricht (anstatt aus der Vergangenheit stammenden Erlebnisse, die auf die Gegenwart übertragen werden).

Der Verlust dieser Fähigkeit in einem gestressten oder traumatisierten Menschen ist etwas, das ich mehr und mehr in meiner Praxis sehe und als eine der verbreitesten modernen Zivilisationskrankheiten bezeichnet werden könnte. All die stressbedingten Probleme wie Schlaflosigkeit sind Konsequenzen dieses Verlustes, der autonomen Flexibilität. Esalen Massage und Deep Bodywork sind zwei der wichtigsten Werkzeuge, mit denen wir Menschen genau dort erreichen können, wo der Schlüssel zu diesen Problemen liegt, und wo diese gelöst werden können.

In Teil II werde ich die wichtigsten klinischen Betrachtungen teilen, die helfen, diese Prozesse des ”unwindings” zu identifizieren und zu begleiten.

 

Heilende Physiologische Effekte der Esalen® Massage: Teil II, von Perry Holloman

 

Im ersten Teil der “Heilenden Pysiologischen Effekte” der Esalen Massage habe ich von der bemerkenswerten Kraft dieser Massage, wie auch der von Deep Bodywork, gesprochen. Vor allem im Hinblick auf die Stimulierung eines Prozesses in unseren Klienten, den wir “unwinding” nennen. Wir definierten “unwinding” als die teilweise oder komplette Wiederherstellung der “autonomischen Flexibilität”, die Kapazität unseres Nevensystems zwischen der sympathischen und der parasympathischen Dominanz je nach Situation hin- und herzuschalten. Ich habe die Hypothese aufgestellt, dass der Verlust dieser autonomen Flexibilität ein Metaprozess ist, der vielen stressbedingten Krankheiten, die wir in unseren Klienten sehen, zugrunde liegt und die einen hohen Prozentsatz der Gesamtpopulation betrifft. Die tiefen Entspannungszustände, die wir durch die Esalen Massage und durch Deep Bodywork auslösen, sind ein bemerkenswert effektives Mittel diese stressbedingten Beschwerden zu behandeln und nach und nach die autonome Flexibilitat wieder herzustellen.

 

Können wir die Komponenten der Esalen Massage und Deep Bodywork, die primär dazu beitragen, diese “unwinding”-Reaktionen des Nervensystems und die Wiedergewinnung der autonomischen Flexibilität hervorrufen, indentifizieren? Nach meiner Erfahrung in den letzten 30 Jahren als Practitioner und Lehrer dieser Methoden ist die Antwort meines Erachtens “Ja”. Wir können die Hauptfaktoren identifizieren und unseren Studenten beibringen:

1) Das Tempo unserer Arbeit verringern.

Dies ist ein entscheidenes Element, um die Bedingungen herzustellen, die für die “Restaurierung” der autonomen Flexibilität Voraussetzung sind. Dafür gibt es mindestens zwei wichtige Gründe. Der erste Grund hat mit archaischen Strukturen im Gehirn zu tun, dem limbischen System und dem Hirnstamm, die auf unbekannte Stimulation mit Misstrauen reagieren, was offensichtlich gute Gründe für die Sicherung des Überlebens hat. Wenn wir als Körperarbeiter zu schnell arbeiten, können wir leicht defensive Reaktionen im Organismus auslösen, die auf einer unbewussten, reflex-gesteuerten Ebene angesiedelt sind. Dadurch limitieren oder behindern wir die Tiefe der Entspannung. Zweitens werden unsere Klienten weniger offen sein, eine Bindung mit uns einzugehen, wenn ihr Nervensystem von dieser defensiven Aktivität eingenommen ist. Damit “unwinding” effektiv sein kann, muss es eine gute Vertrauensbasis zwischen Klient und Practitioner geben. Wir können einen Vergleich anstellen zwischen einem übermässig gestressten, hoch angespannten Klienten und einem Tier, dass durch irgendwelche Umstände unter “Hochspannung” steht. Wenn wir uns zu schnell auf solch ein Tier zubewegen und Körperkontakt aufnehmen, werden wir wahrscheinlich angeknurrt, gekratzt oder gebissen. Indem wir uns aber unseren Klienten mit Feingefühl und Achtsamkeit nähern und ein langsames Tempo in unsere Arbeit bringen, erhöhen wir die Wahrscheinlichkeit, dass sie in den vollen Genuss unserer Berührung kommen, ohne dass dieser durch die defensiven Filter gemindert wird.

 

 

 

2) Die Arbeit mit Schwerkraft anstatt unserer eigenen Muskelkraft.

Johanna and ich verbringen viel Zeit in unseren Seminaren damit, den Studenten zu helfen, durch ihre sorgfältig organiserte Körperhaltung als Vehikel für den Fluss der Schwerkraft zu fungieren. Der Unterschied zwischen Berührung, der durch Schwerkraft versus Druck, der durch Muskelkraft erzeugt wird, ist leicht für unsere Kleinten spürbar. Berührung, die auf Schwerkraft basiert und langsam angewandt wird, erzeugt keine defensive Reaktion, während die Arbeit mit Muskelkraft diese Reaktion sehr häufig auslöst. Der Unterschied liegt in der “Erdung” (grounding), die bei der Anwendung von Schwerkraft in die Arbeit einfliesst und darin spürbar wird.

Die Übertragung von Schwerkraft bedarf der Etablierung einer “Basis” durch das Becken, die Beine und Füsse in Verbindung mit der Erde oder dem Boden. Diese Art Basis gleicht dem Stand, der beim Üben von Tai-Chi, Aikido und verschiedenen Yoga Positionen eingenommen wird. Wenn wir aus diesem Stand heraus arbeiten und quasi in Richtung des Klienten “fallen”, übertragen wir automatisch die Energie der Schwerkraft.

Die Anwendung dieser geerdeten und im Feld der Schwerkraft ausgerichteten Körperhaltung wird dann von selbst das Tempo verringern. Eine solche Berührung wird als substantiell, fliessend und entspannend erlebt.

 

3) Lernen, sich wie ein Tai Chi Meister zu bewegen und die Qualität von “fliessender Stille” zu verkörpern.

Wenn wir unsere Arbeit verlangsamen, indem wir uns mit dem Feld der Schwerkraft verbinden und die Rhythmen von “Fliessen” und “Stille” verkörpern, erhöhen wir dadurch die Wahrscheinlichkeit, für unsere Klienten einen Prozess von “unwinding” zu katalysieren. Vor vielen Jahren, als ich nach Esalen kam, hatte ich das Glück, mit Gabrielle Roth zu lernen, während sie die Bewegungsform der 5-Rhythmen” entwickelte. Gabrielle war damals die Leiterin der Esalen Massage Crew und die Rhythmen von “Fliessen” und “Stille” sind in jeder kompetenten Esalen Massage spürbar. Wenn wir lernen können in unserer Berührung diese Rhythmen zu verkörpern und unsere Massagearbeit als eine Form der Bewegungspraxis erleben, kann die Synergie all dieser Elemente geschehen: Verlangsamen, Verbinden mit dem Feld der Schwerkraft, Verkörpern der Qualitäten von Fliessen und Stille und uns bewegen wie ein Tai Chi Meister.

Wir können beobachten, dass wenn ein Practitioner mit diesen 3 Elementen arbeitet, ein “unwinding” Prozess stattfindet, während die Person berührt wird. Der Klient taucht in einen Zustand von spürbarer Präsenz, der wahrscheinlich sogar mit einem Gehirnmonitor messbar wäre.

 

Zusammen gefasst möchte ich ausdrücken, dass das zentrale Nervensytem in der Lage ist, sich selbst, wie auch jedes andere Teil des menschlichen Körpers, zu heilen.

Da das zentrale Nervensystem besonders von starken emotionalen Erfahrungen beeinflusst wird, kann und wird es im Laufe des Lebens “aufgedreht”.

Wir nennen diesen Prozess “Stress”. Wenn eine gewisse Schwelle von Stress erreicht wird, kann das zentrale Nervensystem seine Kapazität verlieren, sich selbst zu regulieren und zu heilen. Dies ist eine Art und Weise, den Verlust von autonomer Flexibilität zu beschreiben. Diese Situation liegt den stressbedingten Beschwerden vieler unserer Klienten zugrunde. Esalen Massage und Deep Bodywork, wenn sie mit den oben beschriebenen Elementen angewandt werden, sind effektive Methoden, um die Fähigkeit zur Selbstregulation oder autonomischen Flexibilität wieder herzustellen

Ich hoffe, dass dieser Blog für Euch und Eure Arbeit hilfreich ist!

Perry

 

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